• Seite vorlesen
  • Feedback an Autor
  • Auf Twitter teilen
  • Auf Facebook teilen

»Es geht ums nackte Überleben«

29.01.2018

"Charly" ist seit vielen Jahren im Substitutionsprogramm und erzählt im Gesundheitsausschuss mit bewegender Offenheit über sein Leben mit vielen Härten und Rückschlägen - und davon, wie er trotz allem immer wieder aufgestanden ist.

Nach dem gemeinsamen Besuch im Caritas-Kontaktladen sowie der Interdisziplinären Kontakt- und Anlaufstelle war diese Diskussion der dritte Baustein als Vorbereitung für den Grazer Suchtgipfel, der im Februar stattfinden wird. Gemeinsam mit zahlreichen Akteuren, Einrichtungen und Institutionen wollen wir dabei nach Lösungen suchen, wie die Versorgung und Betreuung von opiatabhängigen Menschen in der Stadt Graz langfristig auf sichere Beine gestellt werden kann. "Dazu ist es wichtig, auch mit den betroffenen Menschen zu reden, nicht nur über sie", betont Gesundheitsstadtrat Robert Krotzer, der dazu eingeladen hatte.

Es war ein besonderer Gast, der in der Sitzung des Gesundheitsausschusses des Grazer Gemeinderats kam.

"Charly" (Name geändert) kommt aus einer Familie, die man landläufig als "gutbürgerlich" bezeichnet. Der Schein trügt allerdings: "Mit meinem Vater verbinden mich seit meiner frühesten Kindheit panische Angstzustände", schildert er die Gewalt, die er schon als Kleinkind erleben musste. Später besuchte Charly das Gymnasium: "Zuhause war ich der brave Schüler, aber wenn ich unterwegs war, war alles anders..."

"Charly" brach die Schule ab, fand in der Folge aber einen guten Job, er war verheiratet und hat heute zwei erwachsene Kinder. Die Angstzustände aber sind stets geblieben. Die Flucht davor führte zum Missbrauch von Alkohol und Drogen - schließlich zu Heroin: "Die Angst, vor der man flüchtet, ist plötzlich weg. Beim ersten Mal Heroin war alles plötzlich vergraben", schildert er. Und erzählt weiter, dass auf ein kurzes vermeintliches Hoch der ganz tiefe Absturz folgte: "Man rennt nur mehr dem Zeug nach."

Bald ist die Droge nicht mehr leistbar: "Dann geht es ums nackte Überleben", schildert "Charly". Um seine Sucht zu finanzieren, rutschte er in die Kriminalität ab - und verbrachte zehn Jahre seines Lebens im Gefängnis.

"Heute kann ich sagen, dass ich ohne den Haftaufenthalt wahrscheinlich nicht hier sitzen würde", erzählt "Charly" und spricht davon, dass er viele Freunde und Bekannte früh verloren hat, denen die Sucht das Leben gekostet hat. "Ich selbst bin durch das Substitutionsprogramm aufgefangen worden", sagt "Charly" und fügt an: "Substitution macht es möglich, einigermaßen normal zu existieren." Er selbst hat eine Reihe von kurzzeitig erfolgreichen Entzügen hinter sich: "Danach habe ich mich aber schrecklich leer gefühlt. Wenn das zugrundeliegende Problem der Suchterkrankung nicht gelöst ist, wird man immer wieder rückfällig. "

Deswegen sind Einrichtungen wie die Interdisziplinäre Kontakt- und Anlaufstelle (I.K.A.) so wichtig, weil hier neben der Substitution und der ärztlichen Behandlung auch Sozialarbeit und Psychotherapie vorhanden sind. Erst wenn eine Behandlung der Suchtursachen sowie eine Stabilisierung des Lebensumfeldes gegeben sind, kann der Kampf gegen die Sucht gewonnen werden. "Mein Ziel ist es, ohne Medizin zu überleben", gibt sich "Charly" zuversichtlich, der sich auch künstlerisch und musikalisch betätigt und eine neue Perspektive für sein Leben gewonnen hat.

Schmunzelnd zitiert "Charly" Albert Einstein: "Jede menschliche Erfahrung ist wichtig - und wenn sie nur dazu da ist, um anderen Menschen als schlechtes Beispiel zu dienen." Seine Erfahrungen will er anderen, insbesondere jungen Menschen zugänglich machen. "Aufklärung ist das Um und Auf", sagt "Charly", der selbst in Drogen-Präventionsworkshops in Schulen mitgearbeitet hat.

Ich darf mich ganz herzlich bei "Charly" für den Bericht seiner Erfahrungen bedanken und bei den Mitgliedern des Gesundheitsausschusses für ihre Teilnahme an dem Gespräch

Hanno Wisiak