Ehrenringträger und Ehrenbürger der Stadt Graz, verstorben am 14. August 1981
Gemeinderatsbeschluss Ehrenring am 10. Juni 1954
Gemeinderatsbeschluss Ehrenbürger am 17. Juli 1969, Festsitzung am 2. Dezember 1969
Zur Person
„Karl Böhm, am 28. August 1894 in Graz als Sohn eines angesehenen Rechtsanwaltes und Bauherrn [...] geboren, plante zunächst eine Juristenlaufbahn und wurde 1919 an der Universität Graz zum Dr. jur. promoviert. Bereits während des Studiums der Jurisprudenz studierte Böhm jedoch in Wien beim Brahmsfreund Eusebius Mandyczewski und bei Guido Adler; 1917 gab er als Dirigent in Graz ein vielbeachtetes Debüt (Neßlers ‚Trompeter von Säckingen‘). 1920 erster Kapellmeister am Grazer Stadttheater, wurde er im folgenden Jahr von Bruno Walter nach München zur Bayerischen Staatsoper geholt und war anschließend als Generalmusikdirektor in Darmstadt (1927-1931) und in Hamburg (1931-1934) tätig. 1934 trat Böhm die Nachfolge von Fritz Busch als Direktor der Dresdner Staatsoper an. Böhm, der eng mit Richard Strauss befreundet war, leitete auch die Uraufführung von dessen Opern ‚Die schweigsame Frau‘ (London 1935) und ‚Daphne‘ (1938), welche Böhm gewidmet ist. Während seiner Dresdner Zeit dirigierte der zum Professor ernannte Böhm auch erstmals die Salzburger Festspiele (1938). Von 1943 bis 1945 und von 1954 bis 1956 leitete er die Wiener Staatsoper (1955 Wiedereröffnung mit ‚Fidelio‘), demissionierte jedoch wegen größerer Missstimmigkeiten frühzeitig. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war Böhm, dessen Verhältnis zum Nationalsozialismus nicht eindeutig geklärt ist, mit einem Berufsverbot belegt worden (bis 1947)." (REISMANN/MITTERMÜLLER 2003, S. 49)
„Er gehörte zu den Künstlern, die sich ab 1933 energisch für die Nazis engagierten, nach Ende der Diktatur davon aber nichts mehr wissen wollten." (DRÜNER/GÜNTHER 2012, S. 327) Böhm wird im Weiteren als „eine der kulturellen Stützen des Regimes" (RIEDL 2005) bezeichnet. „Sein Name findet sich folgerichtig auch auf der so genannten ‚GottbegnadetenListe‘, die eine kleine Gruppe der insgesamt 140000 Mitglieder der Reichskulturkammer 1944 vor dem totalen Kriegseinsatz an der Front oder in Rüstungsbetrieben bewahrte." (RIEDL 2005) Weiters wird Böhm als im KdK führend tätiger Künstler angeführt, der durch sein Wirken das Regime - gewollt oder ungewollt - stützte (vgl. RIEDL 2005). Schon 1933 war Böhm im KdK Vorstandsmitglied (vgl. RATHKOLB 1991, S. 101). 1936 äußerte er sich öffentlich kurz vor der Reichstagswahl in einem Aufruf für den Nationalsozialismus und im Zuge der Vorbereitungen für die Volksabstimmung über den sog. „Anschluss" Österreichs rief er zur Abstimmung mit „Ja" auf (vgl. KLEE 2007, S. 62).
Rathkolb (1991, S. 123) kritisiert, dass sich Böhm nach 1945 als unpolitisch verkauft habe, dies aber durchaus nicht gewesen sei, denn er habe sich in Wien mit seiner künstlerischen Arbeit für die Erhaltung der NS-Ideologie bzw. dem Erhalt der pro-NS-Stimmung in der Bevölkerung eingesetzt. Auch ohne Parteimitgliedschaft wurde Böhm nach 1933 postentechnisch in Deutschland gut versorgt, da er scheinbar gute politische Kontakte zur NSDAP hatte und so erklärt Rathkolb auch seine Berufung nach Dresden (vgl. ebd.).
In von ihm selbst publizierten Äußerungen lobte Böhm die NS-Ideologie und stellte auch sein künstlerisches Schaffen in deren Dienst (vgl. ebd., S. 103f). „Zwar benützte er nie mit offenem Rassismus durchsetzte Sprachmuster, vertrat aber inhaltlich exakt die politische Linie der ‚Entartungs-‘ Theoretiker und Kämpfer gegen den ‚Musikbolschewismus‘. Im Sprachverständnis der Zeit konnten derartige Darstellungen mitunter propagandistisch wirksamer sein als blanker Antisemitismus und nationalsozialistischer Parteijargon. Daß bei Böhm künstlerische Argumente eine Rolle spielten, ist nicht von der Hand zu weisen." (ebd., S. 105) In diesem Sinn ließ er in Dresden auch Stücke aufführen, die nicht unbedingt programmatisch perfekt zur NS-Ideologie passten, jedoch lehnte er sich hier nicht wirklich weit aus dem Fenster (vgl. ebd., S. 105). Böhm selbst habe gegen Kriegsende mit seinen verstärkten Mozart-Inszenierungen in Wien seiner Nachkriegsposition gut vorgearbeitet. Parteimitglied wurde Böhm bis zum Schluss nicht (vgl. ebd., S. 125).
„Böhm, der nach seinem Abgang ab 1957 weltweit in allen großen Opernhäusern und Konzertsälen als Gastdirigent Triumphe feiern konnte (Mailänder Scala, Teatro Colon in Buenos Aires), debütierte 1957 an der New Yorker Metropolitan Opera mit Mozarts ‚Don Giovanni‘ und dirigierte zwischen 1962 und 1970 bei den Bayreuther Festspielen. Für seine Welterfolge wurde ihm 1962 der Titel ‚Österreichischer Generalmusikdirektor‘ verliehen; ein Titel, der nur vom Bundespräsidenten und nicht gleichzeitig auch noch anderen Dirigenten verliehen werden darf. Am 4. Mai 1964 erhielt er den Ehrenring der Stadt Graz, 1969 deren Ehrenbürgerschaft. Böhm trat besonders als Interpret der Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, Richard Strauss und Alban Berg hervor, war aber ebenso ein bedeutender Beethoven- , Wagner-, Verdi- und Bruckner-Dirigent. Großen Wert legte der allen Starallüren abgeneigte, wortkarge Meister auf eine werkgetreue Interpretation. Seine Autobiografie ‚Ich erinnere mich ganz genau‘ erschien 1968 (Hg. v. H. Weigel), seine ‚Begegnung mit Richard Strauss‘ 1964 (Hg. v. F. E. Dostal). 1980 kehrte er zum letzten Mal in seine Vaterstadt zurück, wo feierlich die Erneuerung seines Doktorgrades begangen wurde und eine Allee auf dem Schloßberg nach ihm benannt wurde." (REISMANN/MITTERMÜLLER 2003, S. 49)
Im BArch Berlin befindet sich zur Person Akten aus dem Bestand Personenbezogene Unterlagen der Reichskulturkammer mit folgendem Inhalt: Brief von Karl Böhm an Willy vom 25.4.1934: „ich bleibe nach der Entscheidung des Führers hier in Dresden. [...] Ganz Dresden war natürlich maßlos erregt, am allermeisten das Orchester und heute hat hier das Wort des Führers größte Beglückung ausgelöst" (BArch R9361- V/131450).
Literatur:
DRÜNER Ulrich/GÜNTHER Georg, Musik und „Drittes Reich". Fallbeispiele 1910 bis 1960 zu Herkunft, Höhepunkt und Nachwirkungen des Nationalsozialismus in der Musik. WienKöln-Weimar 2012.
RATHKOLB Oliver, Führertreu und gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich. Wien 1991.
REISMANN Bernhard A./MITTERMÜLLER Franz, Stadtlexikon (= Geschichte der Stadt Graz 4). Graz 2003.
RIEDL Joachim, Wer war Karl Böhm? In: Die Zeit (2005) H. 47. Online verfügbar unter: http://www.zeit.de/2005/47/au_boehm (am 11.06.2015)
(textierter Endbericht der ExpertInnenkommission für Straßennamen vom 24. November 2017)