
Er war „ein Suchender, ein Ringender, ein Strebender, ein Dienender, wie man ihn sich als Politiker kaum schöner vorstellen kann": So wurde er vom Forum für Weltreligionen im Jahr 2012 beschrieben. Seine Willensstärke, seine Konsequenz und seine Bürgernähe prägten über Jahrzehnte sein Wirken. Am 29. Mai hat uns unser Ehrenbürger, Altbürgermeister Alfred Stingl, verlassen.
Am 28. Mai 1939 in einer Arbeiterfamilie geboren, musste er bereits als kleiner Bub die Schrecken des Zweiten Weltkrieges miterleben. Nach seinem Schulabschluss begann sein beruflicher Weg mit einer Lehre als Schriftsetzer in der Druckerei Leykam. Mit seinem schon damals starken sozialen Verständnis nahm er die Gelegenheit wahr, 1962 als Gründungsmitglied der „Jungen Generation" der steirischen SPÖ beizutreten.
Seine lange und erfolgreiche kommunalpolitische Laufbahn begann 1968 mit der Wahl in den Gemeinderat. 1973 übernahm er als Stadtrat das Jugendressort. Am 10. Jänner 1985 wurde Alfred Stingl als profilierter Kommunalpolitiker mit Herz und Verstand, als Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz, angelobt. Seiner inneren Überzeugung folgend, dass ein Stadtoberhaupt nicht nur parteipolitisch denken darf, sondern sich um das Vertrauen aller zu bemühen hat, war er unaufhörlich bestrebt, als integrative Kraft für das Wohl „seiner" Grazerinnen und Grazer aktiv zu sein. In seiner beinahe 18 Jahre währenden Position als Bürgermeister gelangen ihm zahlreiche politische, wirtschaftliche, kulturelle, architektonische und kulturelle Meilensteine.
Höhepunkte in seiner Ära waren, unter anderen, die Erklärung der Grazer Altstadt zum UNESCO-Weltkulturerbe im Jahr 1999 sowie die Eröffnung der neuen Synagoge im November 2000. Alfred Stingl war Bürgermeister der ersten Menschenrechtsstadt Europas. Darüber hinaus erwarb er sich einen grenzüberschreitenden Ruf als engagierter Kultur- und Medienpolitiker. So war er jahrelang Mitglied des höchsten Gremiums des Österreichischen Rundfunks und Fernsehens sowie Vorsitzender des ORF-Kuratoriums. Er bekleidete Funktionen als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Grazer Messe, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Natur- und Umweltschutz, Vizepräsident des Rates der Gemeinden und Regionen Europas sowie als Gremiumsmitglied des Städtebundes.
Die Übernahme und der Umbau des ehemaligen Unfallkrankenhauses in ein modernes Seniorinnen- und Seniorenzentrum hatte für ihn ebenso höchste Priorität, wie auch der Aus- und Zubau des Geriatrischen Krankenhauses. Alfred Stingl lenkte fast zwei Jahrzehnte lang die Geschicke der Stadt Graz, die in seiner Amtszeit zum renommierten Forschungs- und Hochschulzentrum avancierte. Nie verlor er dabei die Lage all jener aus den Augen, die es wirtschaftlich schwer hatten.
Zahlreiche Auszeichnungen würdigten seine Leistungen, darunter die Ernennung zum Ehrensenator der Karl-Franzens-Universität und der Technischen Universität Graz, die Ernennung zum Ehrenmitglied der Kunstuniversität Graz, die Verleihung des Großen Goldenen Ehrenzeichens mit dem Stern und des Ehrenringes des Landes Steiermark sowie der Kurt-Schubert-Gedächtnispreis. Alfred Stingl blieb bis zuletzt seiner karitativen Tätigkeit aus Überzeugung treu, hatte immer ein offenes Ohr für die Sorgen seiner Mitmenschen und hat so vielen in und über unsere Stadt hinaus in herausfordernden Zeiten beigestanden. Ab 2004 war der „soziale Humanist" Stingl ehrenamtlich als Sozial-Ombudsmann für die Aktion „Von Mensch zu Mensch" der Wochenzeitung WOCHE Graz tätig, bei der über 13.000 Bürgerinnen und Bürger in Notlage geholfen wurde.
Aufgrund seiner Verdienste um die Menschen unserer Stadt wurde Alfred Stingl mit Gemeinderatsbeschluss vom 17. März 2005 zum Ehrenbürger der Stadt Graz ernannt.
Neben seiner politischen Karriere war Alfred Stingl in seinem privaten Bereich ein begeisterter Leser, vor allem von Büchern über Geschichte und Politik. Er war auch leidenschaftlicher Förderer des Sports, insbesondere des Fußballs, und unterstützte lokale Sportvereine in Graz. „Fredi", wie ihn seine Freunde nannten, liebte lange Spaziergänge durch die Natur und verbrachte viel Zeit mit seiner Familie. Mit seiner Frau Elli, mit der er mehr als 60 Jahre verheiratet war, liebte er es als Vater und Großvater, die Aufführungen in der Grazer Oper zu besuchen. Elli stärkte nicht nur ihrem Mann bei seiner jahrzehntelangen sozialen und politischen Arbeit den Rücken, sie setzte sich auch selbst für die Schwächsten in der Gesellschaft ein. Als Elli erkrankte, kümmerte er sich zuhause mit Medikamenten, den Arbeiten im Haushalt und dem Kochen liebevoll um seine Frau, bis sie im März 2018 von ihren schweren Leiden erlöst wurde. Damit ging für Alfred Stingl ein wichtiger Lebensmensch verloren.
Bürgermeisterin Elke Kahr: „Mit Alfred Stingl hat Graz eine große Persönlichkeit verloren. Er hat viele Spuren hinterlassen und war für seine nahbare und bescheidene Art bekannt. Er nahm sich Zeit, die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger persönlich anzuhören. Er engagierte sich, solange es seine Gesundheit erlaubte, unermüdlich gegen soziale Ungleichheiten. Sein Vermächtnis lebt in Graz weiter, wo seine soziale Politik und sein Einsatz für die Gemeinschaft bis heute geschätzt werden. Seine Vision einer gerechten und solidarischen Gesellschaft ist für mich ein Auftrag und ein Vorbild für kommende Generationen. Ich habe Alfred Stingl seit 1993 persönlich gekannt. Es ist mir wichtig, dass sein Verständnis von Politik in unserer Stadt weiter gelebt wird. Graz wird Alfred Stingl immer ein ehrendes Andenken bewahren. Mein Mitgefühl gilt seiner Familie und allen, die in ihm ein Vorbild, einen geschätzten Kollegen und Freund verloren haben."
Ab Montag, dem 2. Juni, 9 Uhr, liegt ein Kondolenzbuch im Baumkircherzimmer (Rathaus, 2. Stock) zur Eintragung bereit.