Klangpoeten mit Humor
Sie widmen sich schwierigen Themen wie der Klimakrise, Meinungsfreiheit oder Gleichstellung und reißen ihr Publikum damit vom Hocker: Die Poetry-Slam-Meister „Tommy & Annika" über Humor als Eisbrecher, Vaterrollen am Kindertheater, Bühnendeutsch versus Dialekt und den Wert von Flachwitzen.

Einem literarischen Wettbewerb der besonderen Art haben sich Lisa Rothhardt und Christoph Steiner verschrieben. Sie reden, schreien, reimen und rappen sich beim Poetry-Slam auf der Bühne durch selbstverfasste Texte. 2023 - gleich nach der Gründung ihres Teams „Tommy & Annika" - holten sie den Sieg bei der deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaft. Mit 89,9 von 90 Punkten - der höchsten Wertung, die es in dem Bewerb je gab. Erstmals ging der Titel nach Österreich. 2024 traten sie wieder an und konnten ihn verteidigen.
Auftritte vor Publikum sind nicht jedermanns Sache. Liegt Ihnen die Bühne im Blut?
ROTHHARDT: Tatsächlich seit ich Kind bin. Andere sind zum Tennis oder Fußball gegangen, mein Papa, der Schauspiel studiert hat, hat mich gefragt, ob ich in einer Kindergruppe mit Schauspiel, Gesang und Tanz mitmachen möchte. Ich hatte richtig Lust dazu. In jedem Freundesalbum stand seitdem, dass ich das gern machen würde, nach dem Abitur habe ich es dann studiert.
STEINER: Bei mir gab es mehrere Dinge, die auf meiner beruflichen Wunschliste standen, Schauspiel war auch dabei. Ich habe zwei Jahre in Ludwigsburg und in Graz an der Kunstuni fertig studiert. Vor der Gründung von „Tommy & Annika" war ich zehn Jahre lang als Solo-Poetry-Slammer unterwegs.
Humor zieht sich durch Ihre Texte, die sich oft um ernste, gesellschaftskritische Themen drehen - kann man Lustigsein lernen?
ROTHHARDT: Was wir schnell gemerkt haben - wir haben einen ähnlichen Humor, können gemeinsam Filme schauen und über Bücher reden, weil wir ähnlich ticken, das ist viel wert. Mittlerweile hat sich etabliert, dass wir in unseren Texten zwei Positionen einnehmen. Einer macht die Flachwitze und der andere äußert sich eben ein bisschen skeptisch darüber. Das funktioniert gut, weil man damit beide Seiten abholt.
STEINER: Wir möchten nicht, dass die Leute zumachen, das Programm muss niederschwellig, gut zugänglich sein. Als wir bei der deutschen Meisterschaft mitgemacht haben, wusste ich, wir müssen den Text für deutsches Publikum schreiben, der österreichische Humor funktioniert da nicht.
Für Humor ist man nie zu alt - hat sich Ihrer im Laufe der Jahre verändert?
STEINER: Ich glaube, dass man sehr früh geprägt ist. Als Kind hatte ich einen sehr eigenen Humor, manchmal denke ich mir heute: Das habe ich schon als Kind nicht lustig gefunden. Das hat sich also schon damals gesettelt.
ROTHHARDT: Ich habe mich dorthin entwickelt, wo ich jetzt bin. Als Kind habe ich wenig Lustiges konsumiert, auch wenig ferngesehen. Ich hatte nicht das, was man „meinen Humor" nennt. Das Studium hat dann angefangen, mich zu prägen, auch die Menschen, die ich dort hatte. Bei mir war's eine Entwicklung, deshalb glaube ich, dass beides möglich ist - dass einem Humor bleiben, aber auch, dass er sich verändern kann.
Es hilft aber schon, wenn man witzig ist und das nicht spielen muss ...
ROTHHARDT: Es gibt Menschen, denen es leicht fällt. Sie gehen auf die Bühne und bringen eine witzige Sympathie mit, das ist einfach toll - einer sitzt neben mir ...

Passierschein A38
Kürzlich waren Sie beim Congress Award gebucht. Was ist spannender für Sie - Auftragstexte oder eigene Poesie?
ROTHHARDT: Wenn wir eigene Texte schreiben, kommt das aus uns. Bei einem Auftragstext arbeitet man sich erst in das Thema ein und hat nicht so viele Anhaltspunkte dazu. Das ist vielleicht sogar noch spannender. Wir versuchen, die interessanten Themenfelder herauszufiltern, also auch die, die man mit Humor nehmen kann.
STEINER: Es gibt immer ein Gefühl oder eine Assoziation, die man sofort hat, das hilft. Beim Thema Kongress und Bürokratie hatte ich sofort diesen Asterix im Kopf mit Passierschein A38 - das hat es dann zwar nicht in den Text geschafft, aber neue Inspiration gebracht. So sammeln wir auf Umwegen unsere Inhalte. Beim Congress Award hat es echt Spaß gemacht, das Publikum war sofort dabei, es gab Zwischenapplaus und es wurde viel gelacht.
STEINER: Im Next Liberty ist die Saison gerade zu Ende. Über den Sommer haben wir als „Tommy & Annika" einige Aufträge.
Sie haben beide ein fixes Engagement im Next Liberty - ist man irgendwann zu alt fürs Kinder- und Jugendtheater?
STEINER: Das hat viel mit dem Optischen zu tun. Viele unserer Kolleginnen und Kollegen schauen sehr jung aus. Einer ist Vater geworden und hat immer die Rolle gespielt. Ich war schon länger Papa als er, aber ich sehe einfach nicht aus wie einer, mir fehlt der Bart und so, deshalb habe ich noch nie einen gespielt.
ROTHHARDT: Es ist eine bewusste Entscheidung, Kinder- und Jugendrollen zu spielen, solange es für einen passt, sonst muss man sich verändern. Ein Kollege ist älter als wir, er hat aber so ein freches Gesichtchen, dass er noch immer als Kind durchgeht.
Auf der Website des Sprechtheaters „Schauspiel Frankfurt" steht zu lesen, dass Christoph Steiner „Schauspieler, Regisseur und leider auch Schlagersänger" ist ...
STEINER: Eine Zeit lang habe ich auch Musik gemacht - unter anderem als Toni Steiner. Es gab einmal ein La-Strada-Projekt, für das ich ein Gelati-Lied gemacht habe. Auf YouTube kann man sich das anschauen. Alles natürlich mit Augenzwinkern.
ROTHHARDT: Ich habe das Video gesehen, bevor ich dich kannte. Der erste Eindruck von dir und ich dachte: Ok, alles klar, sehr witzig, ich weiß, worauf ich mich einlasse. Aber du meinst es tatsächlich ernst ...
STEINER: Ich mag nicht, wenn man sich über Schlager lustig macht, Toni Steiner ist komplett authentisch. Als Künstlerin und Künstler ist man in vielen Feldern tätig. Wir sind am Next Liberty Schauspieler:innen. Beim Poetry-Slam ist es wieder anders, wir schlüpfen in keine Rolle, sondern stehen als wir auf der Bühne. Dann gibt es noch die Musik ... Auch in der Ausbildung habe ich gelernt, dass der Beruf des Schauspielers, der Schauspielerin, sich nicht nur auf das Erfüllen der Figur in der Rolle bezieht, sondern dass es ein riesiges künstlerisches Feld gibt, es entwickelt sich immer weiter.
Stichwort Poetry Slam - sehen Sie sich als Poet und Poetin?
STEINER: Irgendwann musste ich einmal über mich schreiben, was ich bin, habe „Christoph Steiner, Poet, Autor, Schauspieler" geschrieben und musste selber lachen. Es ist schwierig. Ab wann bezeichnet man sich selbst als Poet?
ROTHHARDT: Ich bin so frisch im Poetry Slam, ich würde mich nicht so bezeichnen. Wenn es jemand anders über mich sagen würde, nehme ich das aber dankend an. Mich als Schauspielerin zu bezeichnen, war irgendwann schon ein Step. Das kam mit der ersten Unterschrift für ein festes Engagement und dem Vertrag, in dem stand „angestellt als Schauspielerin".
Beim Poetry Slam können Sie Ihren Emotionen freien Lauf lassen, schreien, Wut zeigen, Freude - ist das für Sie persönlich auch ein gutes Mittel, um sich abzureagieren?
ROTHHARDT: Bei der Recherche merke ich, dass mir Themen nahe gehen - das können wir aber in etwas Gutes umwandeln. Wir haben einmal einen Text zum Gender-Pay-Gap geschrieben, für mich ein großes Anliegen, ich habe viele Podcasts dazu gehört und fand es megaspannend, habe aber irgendwann zu Christoph gesagt: Ich muss jetzt eine Pause machen, weil ich gerade so voller Wut bin. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was da immer noch so schiefläuft. Unsere Texte sind ein Ventil, wir nehmen das Thema und verwandeln es in etwas Schönes. Im besten Fall inspiriert es Menschen, sich näher damit zu befassen, dann haben wir gewonnen. Die Bühne ist kein Ventil für mich, da treten wir auf und sind professionell.
STEINER: Unser Weg, auf dem wir etwas bewirken können, ist der künstlerische. So versuchen wir, viele Leute zu erreichen. Andere gehen auf die Straße, um etwas zu bewegen. Wir haben unter anderem auch einen Klimatext geschrieben ...
ROTHHARDT: Den konnten wir beim Umweltpreis präsentieren - das war toll, weil wir zu diesem Thema gebucht wurden, die Menschen dort wollten den Input. Das gibt einem viel zurück.
STEINER: Wir waren auch in Wien zum Thema Klima gebucht. Da gab es einen Poeten vor uns, der hieß Alexander Van der Bellen - er ist vor uns aufgetreten.
Wie ging es Ihnen als Grazer bzw. Nürnbergerin anfangs mit dem Bühnendeutsch?
STEINER: An der Schauspielschule war das ganz schwierig.
ROTHHARDT: Du hast dir anhören müssen, dass man den Dialekt hört, oder?
STEINER: Ja, ich weiß auch, dass man es heute noch hört. Ich weiß aber auch, dass es gar nicht schlimm ist, wenn man es hört. Mittlerweile habe ich den Dialekt zu lieben gelernt. Anfangs musste ich lernen, ihn loszuwerden, dass man Dialekt haben, ihn aber auch ganz abstellen kann. Ich erinnere mich, dass wir einen Zettel mit einer Aufgabe ziehen mussten, die dann vor der ganzen Schule auszuführen war. Auf dem Zettel stand: Sprich in deinem Dialekt. Ab dem Moment habe ich nicht mehr gesprochen - ich wusste nicht mehr, wie mein Dialekt geht. Sprache ist so mit der Identität verbunden, das hat dann auch eine kleine Krise ausgelöst.
ROTHHARDT: Das verstehe ich. Ich bin jetzt sechs Jahre in Graz. Wenn ich mit meinen Eltern oder Freundinnen aus Deutschland telefoniere, kommt immer: Krass, du klingst schon so steirisch. Was überhaupt nicht stimmt! Aber ich nehme hier Sachen an und klinge daheim total fremd. Hier bin ich aber auch die Fremde. Das mischt sich gerade so, dass ich selbst nicht weiß, wie mein Sprechapparat funktioniert.
STEINER: Mittlerweile habe ich gemerkt, dass es eigentlich komplett wurscht ist, wie man spricht - wenn die Haltung stimmt, die Message, kann man sprechen, wie man will.
ROTHHARDT: Es gibt Häuser in Deutschland, die enormen Wert auf Sprache legen, als Österreicher:in oder Schweizer:in hat man dort tatsächlich wenig Chancen. Das ist hart. Aber das sind mittlerweile Ausnahmehäuser. Im Heimatdialekt zu sprechen, holt eine Rolle oft näher an dich ran, so wirkt man authentisch und natürlich.
Birgit Pichler
Zu den Personen
Christoph Steiner wurde in Graz geboren. Er ist Schauspieler und Regisseur. 2015 wurde er österreichischer Poetry-Slam-Vizemeister, 2016 siegte er bei den Meisterschaften in Linz.
Lisa Rothhardt studierte Schauspiel, Gesang und Tanz an der Theaterakademie in München und ist wie Christoph Steiner fixes Mitglied des Next-Liberty-Ensembles. 2023 gründeten sie das Poetry-Slam-Team „Tommy & Annika".
Erfolge im Team. 2023 brachten sie den Poetry-Slam-Meistertitel (bestes deutschsprachiges Team) zum ersten Mal nach Österreich. 2024 bestätigten sie ihn.
Mehr zu den beiden: nextliberty.buehnen-graz.com
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