Das Zukunftsbild der Grazer Innenstadt aus wirtschaftlicher Sicht – von Wirtschaftsstadtrat Günter Riegler gemeinsam mit Stakeholdern der Grazer Innenstadtwirtschaft, Wirtschaftstreibenden und Expert:innen erarbeitet.

Die Grazer Innenstadt. Das ist der historische Stadtkern. Eine einzigartige Kulisse. Das UNESCO Weltkulturerbe. Die Stadtkrone. Das Rathaus. Das Landhaus mit dem einzigartigen Zeughaus. Das Joanneumsviertel und das Kunsthaus. Die Oper und das Schauspielhaus. Die UNESCO City of Design. Das ist mediterranes Flair. Der Hauptplatz, die Herrengasse. Die kleinen Gassen - vom Schloßberg im Norden bis zum Jakominiplatz im Süden, von der Mur im Westen bis zum Stadtpark im Osten. Das Mariahilferviertel, die Annenstraße. Das sind die Menschen, die hier leben. Die hier wohnen und arbeiten, die hierher zum Einkaufen kommen. Das sind die Tourist:innen, die die Murmetropole besuchen. Das ist das geschäftige Treiben am Tag. Das Nachtleben in den Bars und Clubs. Und es sind nicht zuletzt die Geschäfte und Lokale, die den Charme der Innenstadt ausmachen. Allen voran das Kaufhaus Kastner & Öhler mit der schönsten Dachterrasse der Stadt und dem Lokal Freiblick.
Wirtschaftlich hat sich die Grazer Innenstadt in den letzten Jahren bedauerlicherweise negativ entwickelt: Die Frequenz ist eingebrochen (minus 1,5 Millionen Besucher:innen seit Anfang 2024), die Leerstände haben (auch in der Top-Lage) zugenommen. Das hat mehrere Ursachen: Neben externen Faktoren wie der andauernden Kaufzurückhaltung und dem Onlinehandel, der einen immer größeren Marktanteil hat, gibt es auch Probleme, die hausgemacht sind. Um ein „Innenstadtsterben", wie es in vielen anderen Städten beklagt wird, zu verhindern, gilt es aktiv gegenzusteuern. Neben Akutmaßnahmen braucht es dazu auch eine langfristige Strategie - ein Zukunftsbild.
Das Ziel muss sein, dass die Grazer Innenstadt auch in 10 bis 20 Jahren noch attraktiv ist. Was heißt das konkret? Attraktiv bedeutet anziehend. Die wichtigste Kennzahl dafür ist die Frequenz. Und weil viel über konsumfreie Zonen gesprochen wird: Die City sollte nicht nur ein Freilichtmuseum sein - gemeint ist also umsatzbringende Frequenz. Die Grazer Innenstadt muss als Handelsstandort funktionieren. Dazu braucht es gewisse Rahmenbedingungen.
Folgende Punkte - nach Zielbildern und Maßnahmen gegliedert - sind dafür besonders wichtig:
Angebot

Ausgewogener Branchenmix aus Handel, Gastronomie und Dienstleistungen sowie internationalen Marken bzw. Frequenzbringern (Mediamarkt, H&M, Zara, Müller, Deichmann etc.) und einzigartigen, familiengeführten Grazer Geschäften (Kastner & Öhler, Frankowitsch, Klammerth, Weikhard, Schullin, Haller, Auer, Sorger, Edegger, Scala, Samen Köller, Lena Hoschek, Kaspar Harnisch, Trachten Seidl, Breineder Gibiser, Hutsalon Pelko etc.). Die Stärke der Innenstadt ist Beratung und Service.
Einkaufserlebnis: Das Ambiente der Altstadt ist der USP der Grazer Innenstadt.
Die Innenstadt muss multifunktional sein (Mix aus Verweilen und Flanieren). Es braucht (teilweise auch konsumfreie) Freizeitangebote (Events, Kultur, Sport, Bildung), um zusätzliche Anreize zu schaffen in die Innenstadt zu kommen. In diesem Zusammenhang sind die Märkte (Lendplatz, Kaiser-Josef-Platz) von besonderer Bedeutung.
Was muss eine Stadt aushalten? Wichtig ist Akzeptanz für eine belebte Innenstadt (Sperrstunde, Veranstaltungen, etc.)
Mögliche Maßnahmen:
- Verbesserte Werbung des Angebots in der Grazer Innenstadt (Fokus auf Zielgruppe Grazer Umland).
- Veranstaltungstauglichkeit von öffentlichen Plätzen verbessern.
- Thematische Entwicklung von einzelnen Gassen und Straßenzügen (z.B. Franziskanergasse als italienische „Gastromeile").
- Die Frequenz ist insbesondere bei jungen Menschen stark rückläufig. Hier braucht es spezielle Angebote, wie z.B.:
- Events als Pull-Faktoren: vom (bereits bestehenden) Aufsteirern über Klanglicht und La Strada bis zu (möglichen) Sport-Veranstaltungen (à la Red Bull)
- Warenangebot für junge Menschen etablieren bzw. besser kommunizieren
- Freizeitmöglichkeiten (Surfwelle in der Mur, Murufer weiter attraktivieren, Kletterhalle)
- ÖV-Angebote abends und am Wochenende ausbauen (Stichwort: Nightline)
- ein Grazer Naschmarkt (mit Street Food Ständen), der ganzjährig betrieben wird
- regelmäßige Flohmärkte auf einem Platz im Grazer Zentrum (z.B. Mariahilferplatz)
- Projekt „Haus der Zukunft": klimatisierte 24/7-Aufenthaltszone mit Lern- und Arbeitsmöglichkeiten in
- Innenstadtlage (Schreibtische mit WLAN-Anbindung
- Einkaufserlebnis für die Familie: Einrichtung einer ganzjährigen Kinderbetreuung für Kund:innen (eventuell mit Indoor-Spielplatz) während des Einkaufs (wie in Shoppingcentern)
- Gastro-Angebot 7 Tage die Woche
- Geführte Shopping-Rundgänge
Erreichbarkeit
Die Innenstadt sollte mit allen Verkehrsmitteln gut erreichbar sein - nicht nur für Grazer:innen, sondern auch für Menschen aus Graz-Umgebung. Das Thema Erreichbarkeit wird aktuell zu sehr aus der Perspektive der Grazer betrachtet.
Das Mobilitätsverhalten ändert sich (Radverkehrsanteil im Modal Split steigt) - das ist eine Chance für die Innenstadt als Nahversorger und Arbeitsplatz.
Radwege ausbauen (Fahrrad-Offensive über 2030 hinaus weiterführen), ABER ohne die Erreichbarkeit mit dem Auto einzuschränken! Nicht Entweder-oder, sondern Sowohl-als-auch - Miteinander statt Gegeneinander.
Mögliche Maßnahmen:
WICHTIG ist: lösungsorientiertes, praxistaugliches Handeln. Es braucht ein Gesamtkonzept, das alle Verkehrsteilnehmer:innen und alle Bedürfnisse berücksichtigt.
- Verkehrsführung in der City verbessern (Negativ-Beispiel: Drehung Schönaugasse).
- Was tun, damit die Innenstadt - trotz des Wegfalls von Parkplätzen in der Kurzparkzone - auch für Kund:innen, die (von auswärts) mit dem Auto kommen, attraktiv bleibt? Schaffung von alternativen Parkmöglichkeiten in Form von zusätzlichen Innenstadtgaragen (bzw. Ausbau bestehender Garagen). Mögliches Projekt: Hochgarage am Andreas-Hofer-Platz: Nutzung als Auto-Garage, solange Bedarf besteht - schon jetzt alternative Nachnutzung mitüberlegen und einplanen.
- P+R-Möglichkeiten an allen Straßenbahn-Endhaltestellen (Andritz, Mariatrost, Puntigam, Eggenberg) und an S-Bahn-Haltestellen (mit klarer Beschilderung).
- Parkleitsystem mit digitalen Anzeigetafeln an den Stadteinfahrten zur Vermeidung von Parksuchverkehr (Parkgaragen sollten ohne Umwege erreichbar sein).
- 20 Minuten Gratis-Parken in der Kurzparkzone (statt wie bisher 10 bzw. mit Toleranzzeit 12 Minuten).
- Unkonventionelle Lösungen beim Parken prüfen: z.B. Nutzungsmöglichkeit von Parkplätzen bei Supermärkten für Anrainer:innen außerhalb der Geschäftszeiten, Sharing von privaten Parkplätzen.
- Altstadtbim („Fahrende Rolltreppe") bis zum Hauptbahnhof ausbauen. In Kombination mit der Koralmbahn, die Ende 2025 in Betrieb geht, großes Potenzial für die Grazer Innenstadtwirtschaft - und auch für die Annenstraße.
- Öffi-Aktion: Wer mit Öffis (Stundenkarte) kommt und mindestens 20 Euro Umsatz in einem Betrieb der Grazer Innenstadt macht, bekommt eine Stundenkarte, die beim nächsten Besuch oder für die Rückfahrt verwendet werden kann.
- Baustellenmanagement: Koordination und Abwicklung von Straßenbau-Projekten optimieren. Baustellendauer reduzieren - Beispiel Neutorgasse!
- Leihrad-System (nach dem Vorbild anderer Städte) an mehreren Standorten in der City.
Aufenthaltsqualität
Menschen sollen gerne die Grazer Innenstadt besuchen. Handel, Gastronomie und Dienstleistung bzw. die Geschäfte und Lokale (Gastgärten!) spielen hier eine wichtige Rolle. Zudem geht es um ästhetische Ansprüche, klimatische Notwendigkeiten (Überhitzung der Städte) und die Schaffung einer Wohlfühlatmosphäre (Öffentlicher Raum).
Mögliche Maßnahmen:
- Durch Verlagerung von Parkplätzen an der Oberfläche in Tiefgaragen, Gestaltungsmöglichkeiten im Straßenraum: mehr Bäume, mehr Sitzgelegenheiten - auch am Hauptplatz und in der Herrengasse (Standorte prüfen).
- Ein besseres, gepflegteres Erscheinungsbild - Schluss mit dem „Fleckerlteppich": Pflasterung auf den Plätzen und Gassen im Zentrum besser in Schuss halten. Beschädigte Steinplatten austauschen und nicht mit Asphalt ausbessern. (Siehe dazu auch Punkt „Sicherheit und Sauberkeit" weiter unten.)
- Temporäre Bespielung der Schaufenster bei Leerständen (Werbung, Kunst etc.)
- Fußgängerzone ausweiten - der neue Rad-Highway in der Neutorgasse macht's möglich: Schmiedgasse und Hauptplatz für Fahrrad-Durchzugsverkehr sperren; begleitend verstärkte Kontrollen durch Polizei und Ordnungswache - auch in der Sporgasse und am Franziskanerplatz. Fahrradgaragen im Zentrum - damit die Innenstadt für Kund:innen, die mit dem Fahrrad kommen, weiterhin attraktiv bleibt. Das hätte auch den Vorteil, dass die Fuzo nicht mit Fahrrädern zugeparkt wird (wie an der Ecke Hauptplatz/Sporgasse). Optionen/Machbarkeit prüfen: große Garage (wie z.B. in Amsterdam) oder mehrere kleine (z.B. in Hauskellern) an günstig gelegenen Standorten im Zentrum.
- Moderate Ausweitung der Schanigarten-Zeiten: Gastgärten dürfen in Graz aktuell von 15. Juni bis 15. September bis 23.30 Uhr betrieben werden, davor und danach bis 23 Uhr. Zum Vergleich: In der Stadt Salzburg dürfen Gastgärten von 1. März bis 31. Oktober (bis 24 Uhr) geöffnet sein. Während es im Sommer immer wieder zu Kaltwetterperioden kommt, ist das Wetter oft schon im April und Mai und noch im Oktober angenehm warm. Aus Sicht der Wirtschaft wäre es wünschenswert, dass die Sperrstunde in der Hauptsaison im Sommer auf 24 Uhr und in der restlichen Zeit auf 23.30 Uhr festgelegt wird.
Sicherheit und Sauberkeit
Die Innenstadt ist das Aushängeschild von Graz. Um attraktiv für Besucher:innen (Kund:innen, Tourist:innen) zu sein, sollte sie kein sozialer Brennpunkt sein. Sie sollte sauber sein. Und sie sollte ein Ort sein, wo man gerne flaniert und sich alle Menschen - von Jung bis Alt - angstfrei bewegen und sicher fühlen können (Stichwort: subjektives Sicherheitsgefühl).
Mögliche Maßnahmen:
- Aggressives Betteln und Campieren im Stadtzentrum, die Drogenszene (Stichwort: Billa-Eck), die sich auf dem Hauptplatz immer mehr ausbreitet, die Sandler/Punks (in der Hans-SachsGasse), Jugendbanden am Jakominiplatz - muss eine (Innen-)Stadt das aushalten? Faktum ist: All das bietet kein gutes Bild ist auch geschäftsschädigend.
- Um die Situation zu verbessern, wären neben sozialen auch polizeiliche Maßnahmen und Maßnahmen der Ordnungswache notwendig! In diesem Zusammenhang gilt es die Möglichkeit der Videoüberwachung im öffentlichen Raum zu prüfen. Bessere Beleuchtung in der Nacht.
- Straßenreinigung im Zentrum verbessern (vor allem nach dem Wochenende/Montagfrüh): mehr Personal, dichtere Reinigungsintervalle, zusätzliche Ressourcen für „Omputzmann" (Meldung von Verschmutzung und Vandalismus via App), Mistkübel öfter entleeren.
- Bessere Betreuung öffentlicher WC-Anlagen
- Störende Graffitis an den Hauswänden entfernen lassen.
Centermanagement für Innenstadt
Innenstädte haben im Vergleich zu ihren Mitbewerber:innen mit infrastrukturellen Nachteilen zu kämpfen: Shoppingcenter sind zentral organisiert. Das heißt, dass sie Branchenmix, Marketingmaßnahmen etc. gut steuern können. Um für die nächsten Jahre und Jahrzehnte bestmögliche Rahmenbedingungen für eine attraktive Innenstadt mit lebendigem Handel bieten zu können, braucht es Strukturen, die einem Centermanagement möglichst nahekommen.
Mögliche Maßnahmen:
Ausbau des Citymanagements: Dazu sind mehr finanzielle und personelle Ressourcen nötig - aber auch eine stärkere Beteiligung der Innenstadtbetriebe. Aufgaben:
- Strategische Weiterentwicklung der Innenstadt im Sinne des Zukunftsbilds
- Koordination aller Stakeholder, also dem Verein „Echt Graz" und einzelnen Betrieben, den Hauseigentümer:innen sowie den zuständigen Stellen der Stadt Graz (Immobilienabteilung, Verkehrsplanung, Straßenamt, Veranstaltungsreferat, Graz Tourismus, Sozialamt etc.)
- Vermittler-Funktion zwischen potenziellen Mieter:innen von Geschäftslokalen und Hauseigentümer:innen
- Verbessertes gemeinsames Marketing der Innenstadtbetriebe (verstärkter Fokus auf Social Media), gemeinsame Aktionen wie Late Night Shopping, Gutschein- bzw. Rabattangebote, Events, Grätzelinitiativen etc.
- Citymanagement als eine Anlauf- und Ombudsstelle, die sich um anfallende Probleme kümmert
- Maßnahmen gegen Leerstand, zur Modernisierung von Geschäftslokalen und zur Entschädigung bei Umsatzeinbußen wegen Baustellen (Mietförderung, Pop-up-Förderung, Investitionsförderung, Baustellenförderung)
Entbürokratisierung
Überbordende Bürokratie kostet Zeit, Geld und Nerven - und bremst die Wirtschaft. Die Stadt Graz sollte Maßnahmen ergreifen, um Betrieben das Geschäftsleben in der Stadt zu erleichtern.
Mögliche Maßnahmen:
- Stadt Graz (Magistrat) als „Ermöglicher": lösungs- und serviceorientierter Zugang.
- Entbürokratisierungsoffensive: alle städtischen Auflagen und Verordnungen auf den Prüfstand stellen.
- Beschleunigung und Vereinfachung von Genehmigungsverfahren: Einrichtung eines One-StopShops als zentrale Anlauf- und Servicestelle der Stadt Graz für Unternehmer (Stichwort: Bewilligungen)!
- Checkliste/Leitfaden erstellen (z.B. bei Genehmigung von Schirmen, Markisen).
- Altstadterhaltungsgesetz/ASVK auf Praxistauglichkeit überprüfen. Altstadtschutz vs. notwendige Modernisierung von Gebäuden. Altstadt ist kein Museum, sie muss auch als Wohnort attraktiv sein, um Absiedelung zu verhindern